Kultur

Ausstellung im Berliner Gropius-Bau

“Durch Mauern gehen“

GDN - Zum 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer untersucht die Gruppenausstellung “Durch Mauern gehen“ auf Teilung und Spaltung basierende Machtstrukturen. Zu erleben ist die Ausstellung vom 12. September 2019 bis zum 19. Januar 2020.
Es ist nicht lange her, dass der Fall der Mauer als eines der wichtigsten Symbole des Utopismus des 20. Jahrhunderts galt. In jüngster Zeit hat der Anstieg extremer nationalistischer Positionen jedoch Ideologien den Weg bereitet, die immer mehr auf Spaltung abzielen. Durch Mauern gehen ist eine zeitgemäße Antwort auf die gegenwärtigen Entwicklungen: Die Berliner Mauer wird über die besonderen deutschen Umstände hinaus zu einem Ansatzpunkt für die kritische Reflexion der emotionalen, psychologischen und physischen Auswirkungen von realen und metaphorischen Spaltungen - und der Anstrengungen, die für ihre Überwindung nötig sind.
Die Ausstellung versammelt Arbeiten von 28 internationalen Künstler*innen und ist als ein umfassender, nichtlinearer Erfahrungsraum konzipiert, der drei Themenfelder miteinander verknüpft: Das erste vermittelt die physische Präsenz von Mauern und ihre Funktion als Orte der Trennung. Das zweite beschäftigt sich mit den Auswirkungen von realen und metaphorischen Mauern auf diejenigen, die mit ihnen leben. Das dritte macht die Mühen sichtbar, die nötig sind, um bestehende Teilungen zu überwinden.
Darüber hinaus nimmt die Ausstellung direkten Bezug auf den Standort des Gropius Bau: Zahlreiche symbolische und zum Teil historisch belastete Stätten befinden sich in unmittelbarer Nähe oder sind sogar von den Ausstellungsräumen aus sichtbar, darunter ein Reststück der Berliner Mauer, die Topographie des Terrors auf dem Gelände der ehemaligen Gestapo-Zentrale, das Berliner Abgeordnetenhaus und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
“Ausgangspunkt dieser Ausstellung ist zwar der Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren, doch geht es vor allem um die Thematik der “šMauer in den Köpfen“˜. Mit zunehmender Demagogie und populistischen Tendenzen auf der ganzen Welt, die mit simplen Vorurteilen Ängste schüren, entstehen neue reale und imaginäre Mauern. Die Ausstellung ist daher eine Reflexion der gegenwärtigen Lage: Sie ist der Versuch, die Problematik von Teilung und Spaltung in unseren Gesellschaften in all ihren Dimensionen zu erfassen - und letztlich eine Bekräftigung des menschlichen Willens, sich allen Formen der Unterdrückung zu widersetzen“, so die Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath.
In ihrer Auseinandersetzung mit Mauern als Orten der Trennung und Manifestationen sozialer Ungerechtigkeit verfolgen die Künstler*innen eine Vielzahl von Ansätzen, die häufig von individuellen Erfahrungen geprägt sind. José Becharas Ok, Ok, Let“™s Talk (2006) etwa besteht aus 50 miteinander verbundenen Holztischen, die zum Teil leicht geneigt sind und so unerwartete Brüche in den sonst geraden Flächen erzeugen. Aus ihnen heraus ragen zwei Stühle, die sich von weitem gegenüberstehen. Die Arbeit reflektiert die Unmöglichkeit eines Dialogs angesichts unsichtbarer Trennlinien, die durch ungeklärte Absichten entstehen - und zeigt die Dringlichkeit dieses heiklen, aber notwendigen Austauschs.
In Dora Garcías Two Planets Have Been Colliding for Thousands of Years (2017) begegnen die Besucher*innen zwei Performer*innen, die sich gegenseitig in die Augen schauen. Zuschauer*innen und Darsteller*innen schreiten über Markierungen auf dem Boden, die für innere und äußere Welten im Raum der Performance stehen. Die Installation hinterfragt die Möglichkeit von Kommunikation und gegenseitigem Verständnis und veranschaulicht dabei die metaphorischen Mauern, die uns sogar von denen trennen, die uns am nächsten sind.
Ein weiteres Beispiel ist Smadar Dreyfus“™ Audio- und Videoinstallation Mother“™s Day (2006-2008). Die Arbeit besteht aus Aufnahmen auf den Golanhöhen an der syrisch-israelischen Grenze, wo Kinder auf der einen Seite der Grenze ihren Müttern auf der anderen Seite Grüße zurufen, die per Lautsprecher übertragen werden. Dieser Austausch über den sogenannten “Shouting Hill“ lässt Stimmen widerhallen, die sich trotz der sie trennenden, aufgezwungenen Grenze nach Intimität sehnen.
Ebenfalls zu sehen ist Michael Kviums auf einer Fotografie beruhendes 7,5 mal 3 Meter großes Gemälde Beach of Plenty (2017), das Urlauber*innen an einem Sandstrand zeigt. Auf den zweiten Blick wird jedoch eine düstere Realität erkennbar: Ein kleines Gummiboot mit geflüchteten Menschen nähert sich dem Strand; einer von ihnen ist über Bord gegangen und scheint um Hilfe zu flehen. Das Bild konfrontiert die Betrachter*innen mit den eklatanten Diskrepanzen zwischen den Realitäten von Geflüchteten und Urlauber*innen, die zufällig am gleichen Schauplatz aufeinandertreffen, und macht das Mittelmeer als reale und metaphorische Grenze sichtbar.
Die Ausstellung umfasst eine Vielzahl von Medien wie Malerei, Papierarbeiten, Skulptur, Fotografie, Film, Videoinstallation, Audioinstallation, ortsspezifische Interventionen und Performance. Sechs Künstler*innen zeigen Arbeiten, die eigens für die Ausstellung in Auftrag gegeben wurden: Zahrah al Ghamdi, Reem al Nasser, Christian Odzuck, Aki Sasamoto, Siska und Héctor Zamora. Darüber hinaus wurden verschiedene ortsspezifische Installationen verschiedener Künstler*innen an die architektonischen Besonderheiten des Gropius Bau angepasst, darunter Werke von José Bechara, Jose Dávila, Nadia Kaabi-Linke, Regina Silveira und Samson Young.
Zudem sind mehrere Arbeiten erstmals für die Öffentlichkeit zu sehen, darunter eine neue Skulptur von Mona Hatoum, eine Reihe von Papierarbeiten von Melvin Edwards aus den 1970er Jahren sowie eine sechsteilige skulpturale Konstruktion von Fred Sandback aus dem Jahr 1980, die erstmals in Zusammenarbeit mit dem Nachlass des Künstlers im Gropius Bau realisiert wird. Begleitend zur Ausstellung erscheint ein illustrierter Katalog in zwei separaten Ausgaben auf Deutsch und Englisch bei Silvana Editoriale. Er enthält Gespräche mit allen Künstler*innen zu den Themen der Ausstellung sowie einen Essay der Kuratoren.
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